Dienstag, 3. Februar 2015

„Immer Ärger“ - Über den Unmut mit der Kunst

Gastbeitrag der Bloggerin Julia Schattauer, Bezirzt:


Edvard Munch, Workers on their Way Home, 1913-14, Öl auf Leinwand, 227x201 cm
Kunst ist nicht bequem. Kunst kann sogar ganz und gar unbequem sein und schenken wir dem aktuellen Ausstellungstitel Glauben, macht sie irgendwie „immer Ärger“.
Ärger - ein Gefühl, das wenig zu tun hat mit Kontemplation, mit Muße und Gefälligkeit.

Betrachten wir die Alten Meister, sagen wir einen Rembrandt, dann bestaunen wir die virtuose Licht- und Schattenspielerei, die stimmungsvolle Farbigkeit. Wir erkennen pastosen Farbauftrag und kleine Details, die uns in der Betrachtung der Kunst befriedigen. Wir erkennen meisterhaftes. Doch so ergeht es uns mit der Kunst nicht immer. Für Künstler, Galeristen und Betrachter kann die Kunst in Ärger ausarten.

Künstlerisches Schaffen ist ein Prozess, der expressionistisch oder impressionistisch entsteht. Ein Eindruck von Außen oder ein Gefühl von Innen. Und dieser Eindruck oder dieses Gefühl, ist mitunter negativ. Persönliche Probleme, der Druck der auf einem lastet, Schaffenskrisen, damit müssen Künstler umgehen, damit müssen sie arbeiten.

Denken wir an Edvard Munch, van Gogh oder James Ensor. Allesamt verarbeiteten ihre persönlichen Probleme, ihre Angst vor dem Scheitern mit ihrer Malerei. Dieses Persönliche reicht ins Körperliche. Marina Abramović ist vielleicht die unerbitterlichste Performance-Künstlerin, die mit ihren blutigen und selbstzerstörerischen Aktionen für Aufsehen sorgt.  



Mit der Körperlichkeit von Ärger, dem Schmerz, setzt sich auch Thai Ho Pham, der in der aktuellen Ausstellung „Immer Ärger“ vertreten ist, in seiner Arbeit "Der ewige Schmerz" auseinander. Die Videoinstallation zeigt den Künstler, der auch als Tätowierer tätig ist, beim Tätowieren seiner eigen Hand. Man sieht, wie die Nadel in die Haut sticht und das Blut zu fließen beginnt. Die blutende Hand drückt er anschließend auf ein Büttenpapier, auf dem ein blutiger Abdruck zurückbleibt. Als Tätowierer ist Thai Ho Pham Dienstleister, seine Werke sieht er als eine Art der Auftragsmalerei. Als Künstler kann er die Erwartungsrolle ablegen und jenseits von Kundenwünschen frei arbeiten.

Raymond Gantner knüpft mit seinen chemischen Analogfotografien an das Prinzip der Dekonstruktion an. Strukturen werden analytisch aufgelöst, Bedeutungsfreiheit und Mut zur sogenannten „Sinnlosigkeit“ propagiert. Was Gantner sich zunutze macht ist der Zufall. So macht sich der Künstler frei von der an ihn herangetragen Erwartungshaltung. Anknüpfend an den Dadaismus kann hier spielerisch mit Sinn und Unsinn, mit Bedeutung und Interpretation der Kunst umgegangen werden.


Thai Ho Pham, Not Funny, 2013, Mischtechnik auf Leinwand, 100 x 75 cm


Neben dem Gefühl des Schmerzes und des Ärgers des Künstlers selbst und der Erwartungshaltung an ihn, lässt sich das Phänomen „Ärger“ weiterverfolgen. So reagiert die Kunst auf Missstände in der Kultur oder in der Politik.

Nehmen wir ein Extrembeispiel: die Kunst des Ersten Weltkrieges. Sie zeigt Versuche, das Gesehene zu verarbeiten, auf das Geschehen in der Welt zu reagieren. Otto Dix und Max Beckmann zeigen in einer Drastik das brutale Vergehen an der Menschheit, prangern sie an.



Wenn wir Kunst als Regimekritik sehen, die den Ärger über ein System nicht verschweigt, sondern aufzeigt, dann können wir ganz aktuell bleiben: Ai Wei Wei ist der erste Name, der prominent in Erscheinung tritt, wenn es um Kritik am Staat geht. Seine öffentlich zur Schau gestellte Unzufriedenheit musste er mit Unfreiheit bezahlen und mit körperlicher Versehrtheit. Seine Kunst ist ein politisches Statement. Offen kundgetaner Ärger. 
 

Raymond Gantner, o.T, 2014, chemische Analogfotografie, 24 x 18 cm


Gehen wir weiter, vom Künstler weg, zieht sich der Ärger fort. Galeristen müssen auf Preisschwankungen reagieren, sich mit den Künstlern selbst „rumärgern“. Spannungen dominieren einen hart umkämpften Markt.

Und, verfolgen wir dies bis zum Ende, landet der Ärger schließlich beim Betrachter. Vielleicht entspricht das Gesehene nicht seiner Erwartung, vielleicht ist er enttäuscht, weil er keine Zugang findet, die Kunst nicht versteht.

Kunst verärgert Einzelne, sie kann aber auch für ganze Wellen der Empörung sorgen, denn sie provoziert und das gerne im großen Stil. So sorgen Hermann Nitschs „Orgien-Mysterien-Theater“ seit Jahrzehnten beständig für Empörung. Zu blutig, zu plakativ. Oder nehmen wir Jonathan Meese, der mit Hitlergruß provoziert, was auch der junge Anselm Kiefer nicht unterlassen wollte. Wo provoziert wird, wird verletzt, denn die Kunst fasst dahin, wo es weh tut: mitten in die Wunde. Wenn Erwartungen auf Vorgefundenes treffen, Unsicherheiten sich mit Unverständnis mischen, dann bleibt oft nichts als Ärger.



Bleibt da nur die Frage nach der Funktion der Kunst in unserer Gesellschaft? Was „muss“ Kunst heute? Muss sie gefallen, Erwartungen erfüllen, sich einem Markt anpassen?

Was wäre aktueller als in diesem Rahmen auf Satire zu verweisen, auf die Ermordung von Künstlern, die mit ihrer Kunst kritisierten und dafür sterben mussten. Kunst verarbeitet Missstände und sorgt dabei für Empörung. Die Frage, ob Satire, ob Kunst, das darf, also verärgern, provozieren, kritisch sein, auch über die Stränge schlagen, wurde nach den Morden an den Mitarbeitern von Charlie Hebdo breit und umfassend diskutiert. Und ja, Kunst „darf“ nicht nur alles, sie muss es. Kunst kann allein der Ästhetik verpflichtet sein, aber um etwas zu bewegen, muss Kunst radikal sein, und das verursacht immer Ärger.

Fabio Moro, o.T., 2013, Öl auf Leinwand, 90 x 60 cm
Julia Schattauers Blog Bezirzt: http://bezirzt.de/
Weitere Informationen zur Galerie: www.anna25.de


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