Gastbeitrag der Bloggerin Julia Schattauer, Bezirzt:
Edvard Munch, Workers on their Way Home, 1913-14, Öl auf Leinwand, 227x201 cm |
Kunst
ist nicht bequem. Kunst kann sogar ganz und gar unbequem sein und
schenken wir dem aktuellen Ausstellungstitel Glauben, macht sie
irgendwie „immer Ärger“.
Ärger
- ein Gefühl, das wenig zu tun hat mit Kontemplation, mit Muße und
Gefälligkeit.
Betrachten
wir die Alten Meister, sagen wir einen Rembrandt, dann bestaunen wir
die virtuose Licht- und Schattenspielerei, die stimmungsvolle
Farbigkeit. Wir erkennen pastosen Farbauftrag und kleine Details, die
uns in der Betrachtung der Kunst befriedigen. Wir erkennen
meisterhaftes. Doch so ergeht es uns mit der Kunst nicht immer. Für
Künstler, Galeristen und Betrachter kann die Kunst in Ärger
ausarten.
Künstlerisches
Schaffen ist ein Prozess, der expressionistisch oder
impressionistisch entsteht. Ein Eindruck von Außen oder ein Gefühl
von Innen. Und dieser Eindruck oder dieses Gefühl, ist mitunter
negativ. Persönliche Probleme, der Druck der auf einem lastet,
Schaffenskrisen, damit müssen Künstler umgehen, damit müssen sie
arbeiten.
Denken
wir an Edvard Munch, van Gogh oder James Ensor. Allesamt
verarbeiteten ihre persönlichen Probleme, ihre Angst vor dem
Scheitern mit ihrer Malerei. Dieses Persönliche reicht ins
Körperliche. Marina Abramović
ist vielleicht die unerbitterlichste Performance-Künstlerin, die
mit ihren blutigen und selbstzerstörerischen Aktionen für Aufsehen
sorgt.
Mit
der Körperlichkeit von Ärger, dem Schmerz, setzt sich auch Thai Ho
Pham, der in der aktuellen Ausstellung „Immer Ärger“ vertreten
ist, in seiner Arbeit "Der
ewige Schmerz" auseinander.
Die Videoinstallation zeigt den Künstler, der auch als Tätowierer
tätig ist, beim Tätowieren seiner eigen Hand. Man sieht, wie die
Nadel in die Haut sticht und das Blut zu fließen beginnt. Die
blutende Hand drückt er anschließend auf ein Büttenpapier, auf dem
ein blutiger Abdruck zurückbleibt. Als Tätowierer ist Thai Ho Pham
Dienstleister, seine Werke sieht er als eine Art der Auftragsmalerei.
Als Künstler kann er die Erwartungsrolle ablegen und jenseits von
Kundenwünschen frei arbeiten.
Raymond
Gantner knüpft mit seinen chemischen Analogfotografien an das
Prinzip der Dekonstruktion an. Strukturen werden analytisch
aufgelöst, Bedeutungsfreiheit und Mut zur sogenannten
„Sinnlosigkeit“ propagiert. Was Gantner sich zunutze macht ist
der Zufall. So macht sich der Künstler frei von der an ihn
herangetragen Erwartungshaltung. Anknüpfend an den Dadaismus kann
hier spielerisch mit Sinn und Unsinn, mit Bedeutung und
Interpretation der Kunst umgegangen werden.
Thai Ho Pham, Not Funny, 2013, Mischtechnik auf Leinwand, 100 x 75 cm |
Neben
dem Gefühl des Schmerzes und des Ärgers des Künstlers selbst und
der Erwartungshaltung an ihn, lässt sich das Phänomen „Ärger“
weiterverfolgen. So reagiert die Kunst auf Missstände
in der Kultur oder in der Politik.
Nehmen
wir ein Extrembeispiel: die Kunst des Ersten Weltkrieges. Sie zeigt
Versuche, das Gesehene zu verarbeiten, auf das Geschehen in der Welt
zu reagieren. Otto Dix und Max Beckmann zeigen in einer Drastik das
brutale Vergehen an der Menschheit, prangern sie an.
Wenn
wir Kunst als Regimekritik sehen, die den Ärger über ein System
nicht verschweigt, sondern aufzeigt, dann können wir ganz aktuell
bleiben: Ai Wei Wei ist der erste Name, der prominent in Erscheinung
tritt, wenn es um Kritik am Staat geht. Seine öffentlich zur Schau
gestellte Unzufriedenheit musste er mit Unfreiheit bezahlen und mit
körperlicher Versehrtheit. Seine Kunst ist ein politisches
Statement. Offen kundgetaner Ärger.
Raymond Gantner, o.T, 2014, chemische Analogfotografie, 24 x 18 cm |
Gehen
wir weiter, vom Künstler weg, zieht sich der Ärger fort. Galeristen
müssen auf Preisschwankungen reagieren, sich mit den Künstlern
selbst „rumärgern“. Spannungen dominieren einen hart umkämpften
Markt.
Und,
verfolgen wir dies bis zum Ende, landet der Ärger schließlich beim
Betrachter. Vielleicht entspricht das Gesehene nicht seiner
Erwartung, vielleicht ist er enttäuscht, weil er keine Zugang
findet, die Kunst nicht versteht.
Kunst
verärgert Einzelne, sie kann aber auch für ganze Wellen der
Empörung sorgen, denn sie provoziert und das gerne im großen Stil.
So sorgen Hermann Nitschs „Orgien-Mysterien-Theater“ seit
Jahrzehnten beständig für Empörung. Zu blutig, zu plakativ. Oder
nehmen wir Jonathan Meese, der mit Hitlergruß provoziert, was auch
der junge Anselm Kiefer nicht unterlassen wollte. Wo provoziert wird,
wird verletzt, denn die Kunst fasst dahin, wo es weh tut: mitten in
die Wunde. Wenn Erwartungen auf Vorgefundenes treffen, Unsicherheiten
sich mit Unverständnis mischen, dann bleibt oft nichts als Ärger.
Bleibt
da nur die Frage nach der Funktion der Kunst in unserer Gesellschaft?
Was „muss“ Kunst heute? Muss sie gefallen, Erwartungen erfüllen,
sich einem Markt anpassen?
Was
wäre aktueller als in diesem Rahmen auf Satire zu verweisen, auf die
Ermordung von Künstlern, die mit ihrer Kunst kritisierten und dafür
sterben mussten. Kunst verarbeitet Missstände und sorgt dabei für
Empörung. Die Frage, ob Satire, ob Kunst, das darf, also verärgern,
provozieren, kritisch sein, auch über die Stränge schlagen, wurde
nach den Morden an den Mitarbeitern von Charlie Hebdo breit und
umfassend diskutiert. Und ja, Kunst „darf“ nicht nur alles, sie
muss es. Kunst kann allein der Ästhetik verpflichtet sein, aber um
etwas zu bewegen, muss Kunst radikal sein, und das verursacht immer
Ärger.
Fabio Moro, o.T., 2013, Öl auf Leinwand, 90 x 60 cm |
Julia Schattauers Blog Bezirzt: http://bezirzt.de/
Weitere Informationen zur Galerie: www.anna25.de
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